Zitat und Kontext

Zitate-online.de veröffentlicht heute ein Zitat von Goethe – übrigens ein Zitat, das immer wieder auftaucht. Eine google-Suche zeigt Dutzende von Treffern.

Wenn euer Gewissen rein ist, so seid ihr frei.

Die Problematik von Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen worden sind, offenbart sich hier sehr stark. Die Frage nämlich, aus welchem Kontext ein Zitat stammt, ist entscheidend. Natürlich hat Goethe diese Worte geschrieben, aber er hat sie einer Figur in einem Theaterstück in den Mund gelegt, das ist entscheidend. Diese Worte spricht Götz von Berlichingen zum gefangenen Weislingen im 1. Akt des Theaterstücks Der Götz von Berlichingen. Hier kann man auf Wikipedia die Geschichte nachlesen. Weislingen ist von Berlichingen gefangen genommen und nun führen die beiden einen Dialog.

Dies sind die Worte von Berlichingen, die auf dieses Zitat folgen:

Weislingen, soll ich von der Leber weg reden? Ich bin euch ein Dorn in den Augen, so klein ich bin, und der Sickingen und Selbitz nicht weniger, weil wir fest entschlossen sind, zu sterben eh, als jemanden die Luft zu verdanken, außer Gott, und unsere Treu und Dienst zu leisten, als dem Kaiser. Da ziehen sie nun um mich herum, verschwärzen mich bei Ihro Majestät und ihren Freunden und meinen Nachbarn, und spionieren nach Vorteil über mich. Aus dem Weg wollen sie mich haben, wie’s wäre. Darum nahmt ihr meinen Buben gefangen, weil ihr wußtet, ich hatt ihn auf Kundschaft ausgeschickt; und darum tat er nicht was er sollte, weil er mich nicht an euch verriet. Und du, Weislingen, bist ihr Werkzeug!
Quelle: zeno.org

Weislingen lässt sich schliesslich von Berlichingen überzeugen und wechselt die Seiten aus Überzeugung. Und damit wird er frei, im Sinne, dass er seine Freiheit zurückerhält. Berlichingen verspricht also Weislingen die Freiheit, er lässt ihn gehen, wenn sein Gewissen rein ist, wenn er wirklich davon überzeugt ist, dass der Knabe von Berlichingen zu Recht festgehalten wird, dass dieser nicht als Mittel zu einem ganz andern Zweck missbraucht wird.

Wenn nun in den Kommentaren auf zitate-online.de Folgendes zu lesen ist:

Ingrid Z: Frei für/zu was?

Senftopf: Wahrscheinlich “frei” von Selbstvorwürfen oder Selbstzweifeln(wie das berühmte Ruhekissen…)

Hier muss man ganz einfach empfehlen, das Theaterstück zu lesen. Dann weiss man, was der Berlichingen in diesem Zusammenhang gemeint hat.

Lukas Linder im Unterricht

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Der zweite Autor heute im Unterricht war Lukas Linder. Zuvor hatte ich mit der Klasse bereits die ersten Seiten seines Buches Der Unvollendete gelesen und viele haben dabei geschmunzelt oder auch laut gelacht, als wir Anatol über seine etwas missglückte Nacht mit zwei Lehrerinnen gelesen haben. Dann also war es so weit. Lukas Linder las dann die Fortsetzung vom Morgen nach jener Nacht. Auch an ihn wurden interessante Fragen gestellt. Zwei Jahre habe er etwa an diesem Buch gearbeitet, sagte er uns.

Zwei Frauen! In deinem Bett! Besoffen! Und trotzdem gondelst du alleine durch diese Nacht. Das ist längst nicht mehr nur Höflichkeit. Das ist Blödheit, Versagen auf der ganzen Linie! Aber was hatte er denn erwartet? War er es nicht langsam gewohnt? Wiederholten sich die selben Dinge nicht die ganze Zeit, nicht nur auf den XXL-Matratzen dieser Welt, sondern überall, wo er den Fuß hinsetzte?

Lukas Linder: Der Unvollendete

X Schneeberger im Unterricht

Heute hatten wir anlässlich der Solothurner Literaturtage zwei Autoren im Unterricht. In der ersten Lektion war Chris Schneeberger hier.

Zuerst hat er sein Buch“Neon Pink & Blue” spontan aufgeschlagen und uns eine längere Passage vorgelesen. Wir hatten uns vorgängig schon kurz mit seinem Buch auseinandergesetzt. Wie zu erwarten war, war der Stil für die einen eher ein Hindernis, andere aber waren vollkommen begeistert. Wir haben uns letztes Jahr mit moderner Literatur beschäftigt, unter anderem Die Infantin trägt den Scheitel links von Helene Adler und 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel.  Wir waren also nicht unvorbereitet auf das Buch von Chris Schneeberger – und so haben drei Schülerinnen nach der Lektion sofort spontan ein Buch bei ihm gekauft und es natürlich signieren lassen.

Meist schweige die Landschaft schön. Doch sei gerade etwas passiert: X, eben unter dem vollkommen unnützen Schatten einer Kunststoffpalme hervorgetreten, habe ein wenig auf den erhitzten Steinen der Hafenmauer herumgetänzelt. Der Boden war zu heiß, um barfuss stehen zu bleiben. Mit Blick über das Gewässer auf die Berge, ein tropfendes Glacecornet in der Hand, als wär’ s ein schmelzendes Mikrophon – und als gäbe es in dieser Hitze etwas zu singen. Als ob die Welt an diesem späten Sommernachmittag ein riesen Freiluftcabaret sei.

X Schneeberger: Neon Pink & Blue

X Schneeberger an den Solothurner Literaturtagen

X Schneeberger im Radio SRF – Kontext

Solothurner Literaturpreis 2021 geht an Iris Wolff

Der diesjährige Solothurner Literaturpreis geht an Iris Wolff und wird anlässlich der Literaturtage am 16. Mai verliehen, die Verleihung wird online übertragen.

Iris Wolff ist 1977 in Rumänien, in Hermannstadt in Siebenbürgen, geboren worden. 1985 emigrierte sie nach Deutschland und studierte Germanistik, Religionswissenschaft und Grafik & Malerei in Marburg an der Lahn. Daten zu ihrer Biographie findet man hier.

Mit ihrem aktuellen Roman Die Unschärfe der Welt war sie auch auf der Longlist des letztjährigen Deutschen Buchpreises.

Letztes Jahr hat eine Gruppe im Unterricht diesen Roman sehr genau studiert und analysiert. Am Schluss schrieben die beiden Schülerinnen:

Insgesamt ist Die Unschärfe der Welt ein faszinierendes Buch, welches einem ein einmaliges Leseerlebnis beschert. Aufgrund seiner durchaus breit gefächerten Thematik ist der Roman einer, welcher so verdichtet und dennoch klar geschrieben ist, dass er vieles aufdeckt, was man als Leserin aufdecken möchte. Zwar kann man sich nicht vor aufmerksamem Lesen drücken, aber selbst, wenn man den Roman immer und immer wieder liest, bleiben gewisse Dinge nicht ganz fassbar und man schliesst den Buchdeckel mit einem etwas unscharfen Verständnis und Restfragen, da, wie die Autorin mitteilt, das Schreiben ein Zaubertrick sei, welcher niemals vollkommen aufgelöst werden sollte, damit immer ein letztes Fünkchen Magie bestehen bleibt.

Quellen:

Chrysanth WebStory Published by WebStory

Was der Autor meinte …

Vor einiger Zeit machte dieser Thread die Runde. Und wie man anhand der Kommentare feststellen konnte, kommen die Deutschlehrer und die Literaturstunden dabei sehr schlecht weg. Herr Rau hat in einem Blogbeitrag darauf hingewiesen, dass es ihm egal sei, was der Autor meinte. Die Argumente, die er dort nennt, kann man nur unterstreichen:

(a) wir wissen es ohnehin nicht (es sei denn, wir hätten Briefe von ihm gelesen, und das ist selten der Fall),
(b) der Autor weiß nicht unbedingt, was er tut, und
(c) seine Meinung ist genau so viel oder wenig interessant wie die Meinung jedes anderen. Autoren meinen sicher oft, sie haben unglaublich witzige und spannende Geschichten geschrieben. Das kann mir aber egal sein, wenn ich die nun mal nicht spannend oder witzig finde.

Allerdings hat man als Besucher der letzten Solothurner Literaturtage schon oftmals das Gefühl, dass die Journalisten, die jeweils einen Autor vorstellten und ihm anschließend auch Fragen stellten, vom Autor wissen wollten, was er mit seinem Text aussagen wollte. Deutschlehrer sind also bei weitem nicht die einzigen, die in diese Falle tappen.

 Published by WebStory

viceversa literatur.ch

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Viceversa literatur.ch – die Online-Schwester des Literaturjahrbuches ist eine Plattform, die sich der  Schweizer Literatur widmet. Nach einem ersten Blick auf die Homepage habe ich einen sehr guten Eindruck bekommen.

Ein Mausklick genügt, und man ist bei den neuesten Rezensionen, bei den besprochenen Autorinnen und Autoren, bei der Liste der Schweizer Literaturzeitschriften oder bei Verlagen und Organisationen. Dabei öffnet sich auch der Zugang zu den Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. Bei den Zeitschriften kann sogar nach rätoromanischen Ausgaben gesucht werden. (sda  auf SF Fernsehen)

via blogthek.

Gefunden – Karl May

Ich suchte im Internet
So vor mich hin,
Und etwas zu finden,
Das war mein Sinn …

Als ein Kollege und ich vor einigen Wochen die neuen Ethik-Lektionen vorbereiteten, waren wir auf der Suche nach geeigneten einführenden Fallbeispielen. Plötzlich erinnerte ich mich spontan an eine Geschichte, die ich vor über vierzig Jahren in einem Karl-May-Buch gelesen hatte.

Ein Vater und ein Sohn waren auf einem Kirchendach beschäftigt, womit genau, wusste ich nicht mehr, wahrscheinlich als Dachdecker. Der Sohn bekam einen Schwindelanfall und hielt sich am Bein des Vaters fest. Daraufhin drohten beide abzustürzen. Der Vater hielt dies eine Zeit lang aus, dann drohte er mit dem Sohn abzustürzen. Also stiess er seinen Sohn gewaltsam von sich und liess ihn abstürzen.

Dies war meine Erinnerung. In welchem Buch ich das gelesen hatte, wusste ich nicht mehr. Immerhin hatte ich über 40 Bände von Karl May in jener Zeit gelesen. Natürlich kann man das Beispiel nun selber fertig konstruieren. Aber im Zeitalter des Internets sollte es doch möglich sein, die entsprechende Textstelle zu finden.

Also suche ich vor mich hin: Suchbegriffe “Dachdecker” und “Karl May”. Als Antwort ein Zeitungsartikel, in dem von einem Dachdecker in Biel berichtet wird, der vom Dach gestürzt sei. In einer Reklame auf derselben Seite: “Mögen Sie Abenteuerromane von Karl May?” Falsche Fährte. Antwort Amazon:

Riesige Auswahl Dachdecker, Karl May Klassiker und und viele weitere Artikel im Bereich Bücher zu dauerhaft niedrigen Preisen.

Das ist wohl auch nichts.

Es gilt also, die Suchstrategie einzuengen. Ich fixiere mich in meiner Suche auf das deutsche Projekt Gutenberg. Dort ist eine Suche innerhalb der Texte des Projektes möglich.

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Jetzt sehen die Resultate schon ganz anders aus.

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Old Surehand, das wäre möglich, ich erinnere mich, dass ich dieses Buch tatsächlich einmal gelesen habe. Ein Klick auf die entsprechende Seite bringt mich direkt ins Kapitel 2:

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Ich beginne also das Kapitel von Anfang an zu lesen, und siehe da, das ist genau die Geschichte, an die ich mich vage erinnert habe.

Zwei Schieferdecker hatten auf der Spitze eines sehr hohen Kirchturmes eine neue Wetterfahne anzubringen … Der eine Schieferdecker war ein alter, erfahrener Meister, der andre sein Sohn, der eine Frau und vier Kinder hatte. (…) Da hört man oben einen Schreckensruf erschallen; der Sohn hat ihn ausgestossen; der Vater antwortet ruhig und ermahnend; der Sohn ruft wieder, und gleich darauf stösst die Menge einen einzigen, vielstimmigen Schrei des Entsetzens aus, denn der Alte hat den Sohn, der ihn am Fusse fasste, mit einem kräftigen Tritte von der Leiter geschleudert, so dass er in die grausige Tiefe stürzt und dort zu einem wirren Haufen von Fleisch und Knochen zerschellt.

Das man mit solch vagen Erinnerungen eine Textstelle wiederfindet, das hat mich wirklich sehr angenehm überrascht. Überrascht hat mich aber auch, dass ich mich an solche Einzelheiten aus der Lektüre meiner Jugendzeit erinnert habe, und die Lektüre dieser Bücher von Karl May hat damals in rekordverdächtigem Tempo stattgefunden. Aber wie heisst es doch so schön? Eine andere Erinnerung aus dem Latein-Unterricht:

Semper aliquit haeret.

Ich habe übrigens das Buch eben auf meinen Kindle geladen, es kostet nichts. In den kommenden Ferien werde ich mal wieder einen Blick in Old Surehand werfen. Im Moment ist Karl May ohnehin in den Medien sehr präsent, anlässlich seines 100. Todestages.

 

Arno Geiger im Tagesgespräch bei Radio DRS

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Am Freitag, 3.6.2011, war Arno Geiger zu Gast im Tagesgespräch bei Susanne Brunner im Radio DRS. Die Aufnahme wurde in Solothurn während der Literaturtage gemacht.

Das Podcast kann hier hier heruntergeladen oder angehört werden.

Aus der Ankündigung:

Sein Buch “Der alte König in seinem Exil” ist auch bei uns ein Verkaufsrenner: ein Buch über seinen Vater, der an Demenz erkrankt ist. Alzheimer als Bestseller?