Und nochmals – Zitat und Kontext

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Dies das neue Tageszitat auf ZITATE-ONLINE.DE. Auf den ersten Blick sieht dies nach einem guten Ratschlag aus. Man solle Ordnung halte, um damit Zeit zu gewinnen. Wie immer muss man sich allerdings die Frage stellen, aus welchem Zusammenhang dieses Zitat stammt.

Wer spricht zu wem? Mephisto sagt dies zum Schüler in der bekannten Schülerszene in Faust. Der Tragödie erster Teil.

Wir erinnern uns. Faust hat eben mit Mephisto seine Wette abgeschlossen und die beiden wollen weggehen aus diesem engen Raum. Da hören sie einen Studenten kommen, der einige Fragen an Faust hat zu seiner Studienwahl stellen möchte. Faust ist nicht bereit, ihn zu empfangen, also tut dies Mephisto verkleidet als Faust. Auf die Frage von Mephisto, welche Fakultät er wählen solle, sagt der Schüler, dass er recht gelehrt werden wolle …

Und möchte gern, was auf der Erden
Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.

Mephisto meint dazu, dass er damit auf der rechten Spur sei, allerdings dürfe er sich nicht zerstreuen lassen. Darauf meint der Schüler:

Ich bin dabei mit Seel und Leib;
Doch freilich würde mir behagen
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.

Hier nun kommt dieser Ratschlag von Mephisto an den Schüler

Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehr Euch Zeit gewinnen.
Mein treuer Freund, ich rat euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
In spanische Stiefel eingeschnürt,
Dass er bedächtiger so fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
Irrlichteriere hin und her.

Es ist der Teufel, der diesen Ratschlag einem jungen Studenten gibt und ihm jede Illusion nimmt, dass ihm das Studium zur Freiheit des Geistes führen werde. Das Collegium Logicum wird verhindern, dass er auf “dumme Gedanken” kommt. Der Sinn des Zitats hat sich damit sehr stark verändert.

Zitat und Kontext

Zitate-online.de veröffentlicht heute ein Zitat von Goethe – übrigens ein Zitat, das immer wieder auftaucht. Eine google-Suche zeigt Dutzende von Treffern.

Wenn euer Gewissen rein ist, so seid ihr frei.

Die Problematik von Zitaten, die aus dem Zusammenhang gerissen worden sind, offenbart sich hier sehr stark. Die Frage nämlich, aus welchem Kontext ein Zitat stammt, ist entscheidend. Natürlich hat Goethe diese Worte geschrieben, aber er hat sie einer Figur in einem Theaterstück in den Mund gelegt, das ist entscheidend. Diese Worte spricht Götz von Berlichingen zum gefangenen Weislingen im 1. Akt des Theaterstücks Der Götz von Berlichingen. Hier kann man auf Wikipedia die Geschichte nachlesen. Weislingen ist von Berlichingen gefangen genommen und nun führen die beiden einen Dialog.

Dies sind die Worte von Berlichingen, die auf dieses Zitat folgen:

Weislingen, soll ich von der Leber weg reden? Ich bin euch ein Dorn in den Augen, so klein ich bin, und der Sickingen und Selbitz nicht weniger, weil wir fest entschlossen sind, zu sterben eh, als jemanden die Luft zu verdanken, außer Gott, und unsere Treu und Dienst zu leisten, als dem Kaiser. Da ziehen sie nun um mich herum, verschwärzen mich bei Ihro Majestät und ihren Freunden und meinen Nachbarn, und spionieren nach Vorteil über mich. Aus dem Weg wollen sie mich haben, wie’s wäre. Darum nahmt ihr meinen Buben gefangen, weil ihr wußtet, ich hatt ihn auf Kundschaft ausgeschickt; und darum tat er nicht was er sollte, weil er mich nicht an euch verriet. Und du, Weislingen, bist ihr Werkzeug!
Quelle: zeno.org

Weislingen lässt sich schliesslich von Berlichingen überzeugen und wechselt die Seiten aus Überzeugung. Und damit wird er frei, im Sinne, dass er seine Freiheit zurückerhält. Berlichingen verspricht also Weislingen die Freiheit, er lässt ihn gehen, wenn sein Gewissen rein ist, wenn er wirklich davon überzeugt ist, dass der Knabe von Berlichingen zu Recht festgehalten wird, dass dieser nicht als Mittel zu einem ganz andern Zweck missbraucht wird.

Wenn nun in den Kommentaren auf zitate-online.de Folgendes zu lesen ist:

Ingrid Z: Frei für/zu was?

Senftopf: Wahrscheinlich “frei” von Selbstvorwürfen oder Selbstzweifeln(wie das berühmte Ruhekissen…)

Hier muss man ganz einfach empfehlen, das Theaterstück zu lesen. Dann weiss man, was der Berlichingen in diesem Zusammenhang gemeint hat.