Falsche Zitate

Neulich las ich auf einer Trauerkarte den folgenden Spruch

Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.
(Immanuel Kant)

Nichts gegen diesen Spruch, aber der Autor? Da kann etwas nicht stimmen. Eine einfache Suchanfrage im Internet ergibt eine grosse Anzahl an Quellen, die den Spruch Immanuel Kant zuweisen, so die Gedenkseiten.de,eine Quelle auf pinterest, Kartenspruch.de, auf woxikon.de, bei Bestattungsanbietern, auf mein-wahres-ich.de, aber auch auf dict.leo. Auf gutezitate.de ist schliesslich sogar ein Bild von Kant eingefügt, ebenso auf zitate.eu.

Auf anderen Seiten erscheint plötzlich neben Kant auch Seneca als Verfasser, so etwa auf trauerspruch.de.

Von all den Beispielen sollte man sich aber nicht blenden lassen. Das Zitat passt ganz und gar nicht zu Kant. Da wüsste ich doch sehr gerne, aus welchem seiner Werke es denn stammen könnte. Einen Namen hat man schnell unter ein Zitat gesetzt, wo aber befindet sich das Original?

Andere Internet-Seiten sind etwas skeptischer, sie setzen vorsichtigerweise keinen Namen unter das Zitat, etwa schleifendruckerei.de, auf plusminus60.de wird der Verfasser als unbekannt angegeben.

Nach einigem Suchen findet man auf falschezitate.blogspot.de einen interessanten Hinweis. Dort lautet das Zitat nun etwas anders:

Wer im Gedächtniß seiner Lieben lebt, Ist ja nicht todt, er ist nur fern. – Todt nur
Ist, wer vergessen wird;
ich aber werde,
Ich weiß es, nicht vergessen seyn von dir –

Als Autor wird Joseph Christian von Zedlitz angegeben, das Zitat stamme aus dem Werk “Der Stern von Sevilla”, dazu wird so gar der Link auf die Quelle angegeben – leider noch auf gutenberg.spiegel.de – diese Seite ist seit dem 8.1.20 aber hier erreichbar, siehe dazu meinen Beitrag.

Die Quelle zu diesem Werk findet man neu also hier: https://www.projekt-gutenberg.org/zedlitz/sevilla/chap004.html

Damit ist das Rätsel wohl gelöst. Und wie wir auf falschezitate erfahren, ist schon vor Jahren von Prof. Ulrich Seelbach auf die falsche Zuschreibung aufmerksam gemacht worden:

Obwohl der Literaturwissenschaftler Ulrich Seelbach von der Universität Bielefeld dankenswerter Weise schon vor Jahren auf diese falsche Zuschreibung des Zedlitz-Zitats in seiner Sammlung von Trauersprüchen hingewiesen hat, wird dieses Zitat weiterhin in Trauerspruchsammlungen, Büchern und Zeitungen Immanuel Kant und manchmal auch irrtümlich Seneca zugeschrieben.

Die Quelle zu diesem Artikel von Seelbach findet man hier.

Immerhin haben auch einige Seiten die richtige Zuschreibung gemacht, etwa aphorismen.de oder die wunschwerkstatt.

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